Wie das Wasserrad zuschnappt
Biologen und Bauingenieure analysieren die schnelle Bewegung, mit der die fleischfressende Pflanze ihre Beute fängt
Das Wasserrad trägt seinen Namen aufgrund der Blätter, die wie Speichen an einem Rad abstehen. Foto: Plant Biomechanics Group
Blitzschnell biegt sich die Mittelrippe des zur Schnappfalle umgebildeten Laubblatts minimal nach unten durch, die Fallenhälften klappen zu, und der Wasserfloh kann nicht mehr entrinnen – wie dieser Schnappmechanismus, mit dem das fleischfressende Wasserrad (Aldrovanda vesiculosa) seine Beute einfängt, im Detail abläuft, hat ein Team um Anna Westermeier, Dr. Simon Poppinga und Prof. Dr. Thomas Speck von der Plant Biomechanics Group am Botanischen Garten der Universität Freiburg erstmals aufgezeigt. Die Studie entstand im Sonderforschungsbereich „Biological Design and Integrative Structures: Analysis, Simulation and Implementation in Architecture“. Neben den Freiburger Biologinnen und Biologen waren Expertinnen und Experten des Instituts für Baustatik und Baudynamik (IBB) der Universität Stuttgart sowie des Instituts für Botanik der Tschechischen Akademie der Wissenschaften beteiligt. Das Team hat seine Resultate im Fachjournal „Proceedings of the Royal Society B: Biological Sciences” veröffentlicht.
Die an Land lebende Venusfliegenfalle (Dionaea muscipula) und das weit weniger bekannte aquatische Wasserrad sind die einzigen fleischfressenden Pflanzen mit Schnappfallen. Während zur Venusfliegenfalle schon seit Langem intensive Forschung stattfindet, sind die zehnmal schnelleren Unterwasserschnappfallen des Wasserrads bislang noch wenig untersucht. Das Team um die Freiburger Biologen hat deren Bewegungsprinzip nun mittels Experimenten und Computersimulationen entschlüsselt. Die Forscherinnen und Forscher fanden heraus, dass das Wasserrad seine nur drei Millimeter kleine Falle zuschnappen lässt, indem es den Innendruck in den Zellen des Blattes aktiv verändert, was die Durchbiegung der Mittelrippe zur Folge hat, und zudem eine innere Vorspannung freisetzt, was wahrscheinlich einen Beschleunigungseffekt zur Folge hat. Die Venusfliegenfalle dagegen zeigt einen hydraulischen Mechanismus, um die Krümmung ihrer Fallenhälften zu verändern und somit schnell zuzuschnappen. Obwohl beide Pflanzen viele Gemeinsamkeiten teilen, unterscheidet sich die Mechanik der Fallen deutlich. Mit diesem Befund lassen sich möglicherweise nicht nur die Entstehung von Schnappfallen aus evolutionärer Sicht besser verstehen, sondern auch die Anpassung an die verschiedenen Lebensräume – auf der Erde bei der Venusfliegenfalle, unter Wasser beim Wasserrad.
Eine bionische Umsetzung der Wasserrad-Fallenbewegung hat das Team ebenfalls im Rahmen des Sonderforschungsbereichs schon Anfang 2018 publiziert – zusammen mit weiteren Kollegen vom IBB und vom Institut für Tragkonstruktionen und konstruktives Entwerfen (ITKE) der Universität Stuttgart sowie von den Deutschen Instituten für Textil- und Faserforschung (DITF). Die Fassadenverschattung Flectofold© zeigt die gleiche Öffnungs- und Schließbewegung wie sein biologisches Vorbild, das Wasserrad, und lässt sich auch an komplexe Gebäudehüllen anbringen.
Originalveröffentlichungen
doi: 10.1098/rspb.2018.0012
doi: 10.1088/1361-665X/aa9c2f
Kontakt:
Prof. Dr. Thomas Speck
Plant Biomechanics Group
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Tel.: 0761/203-2875