„Wir möchten das Lehrbuchwissen zu Immunität um ein Kapitel erweitern“
Zum 180. Geburtstag von Robert Koch: Marco Prinz, Susana Minguet und Robert Thimme über das Potenzial struktureller Immunität für das Verständnis des Immunsystems und neue Therapiemöglichkeiten
Am 10. Dezember 2023 jährt sich der Geburtstag Robert Kochs zum 180. Mal. Medizin-Nobelpreisträger Koch, so attestiert es der Neuropathologe Prof. Dr. Marco Prinz, „hat die Grundlage für das Wissen geschaffen, das wir heute über das Immunsystem haben. Er hat zwei zentrale Dinge herausgefunden: dass bestimmte Erreger eine Rolle bei Organerkrankungen spielen und diese aber auch eine Immunreaktion hervorrufen.“ 150 Jahre nach den „Pionieren der Immunologie“, wie Molekular-Immunologin Prof. Dr. Susana Minguet Koch und seine Zeitgenossen nennt, strebt ein interdisziplinäres Team um Prinz, Minguet und den Hepatologen Prof. Dr. Robert Thimme neuen Konzepten entgegen, die unser Verständnis des Immunsystems grundlegend verändern könnten. Im Zentrum steht dabei die Idee der strukturellen Immunität.
Vielfältige Vorarbeit: Immuntherapie bei Krebs, T-Zellen- und Alzheimerforschung
Aus unterschiedlichen disziplinären Richtungen kommend, sind Minguet, Prinz und Thimme zur selben Erkenntnis gelangt: Es muss neben den Immunzellen weitere Zellen geben, die zur Immunantwort beitragen, obwohl sie selbst keine Immunzellen sind.
Ein gutes Beispiel, so Minguet, seien Babys, die ohne Thymus geboren werden oder Defekte an den strukturellen Zellen des Organs aufweisen. Die Kinder können keine eigenen T-Zellen produzieren, die einen wichtigen Teil des adaptiven Immunsystem ausmachen. „Wir können diese Kinder derzeit nicht behandeln“, sagt Minguet. „Eine Knochenmarktransplantation funktioniert nicht. Trotz des Transplantats sind die Kinder immer noch krank, weil die strukturellen Zellen im Thymus für die Entwicklung der T-Zellen benötigt werden.“
Video-Interview mit Susana Minguet
An anderer Stelle wurden bereits neue Therapien entwickelt, die in Zusammenhang mit struktureller Immunität stehen. „Die Immuntherapie ist ein absoluter Durchbruch in der Behandlung von Krebs“, sagt Thimme. Wenn die T-Zellen, die einen Tumor bekämpfen, erschöpft sind, können diese durch Immuntherapie neu stimuliert werden. „Wir begreifen aber aktuell noch nicht vollständig, warum die T-Zellen überhaupt aufhören, den Tumor zu bekämpfen und welche Rolle die strukturellen Zellen in diesen Tumoren spielen.“
Video-Interview mit Robert Thimme
Ähnliche Phänomene gibt es im Gehirn zu beobachten. „Bei der Bekämpfung von Alzheimer spielen ortsständige Makrophagen eine wichtige Rolle“, sagt Prinz. „Momentan sehen wir, dass diese Zellen irgendwann erschöpft sind. Wir wollen herausfinden: Wie können benachbarte strukturelle Zellen die Makrophagen ertüchtigen, um mit lang andauernden Erkrankungen wie Alzheimer fertigzuwerden?“
Video-Interview mit Marco Prinz
Ob Krebs- oder Alzheimertherapie: Der klinische Bedarf, so Thimme, sei riesig. „Es ist höchste Zeit, dass wir fragen: Warum? Warum ist die Immunzelle, wie sie ist? Und wie ist sie geprägt von ihrem Umfeld?“ Für die Beantwortung all dieser Fragen spiele die strukturelle Immunität eine zentrale Rolle. „Egal ob wir über das Gehirn, die Leber oder andere Organe sprechen – es gibt wahrscheinlich zugrundeliegende ähnliche Mechanismen, die in allen Organen greifen.“
Von Grundlagenforschung bis in die Klinik: Dogmen herausfordern und neue Konzepte entwickeln
Um nicht nur zu verstehen, was funktioniert, sondern auch warum, müsste die Forschung vom molekularen Ende des Spektrums bis zum klinischen reichen, sagt Minguet. Auch gedankliche Flexibilität sei zentral: „Wir brauchen Leute mit unterschiedlichen Erfahrungen und Einstellungen, um Dogmen herauszufordern, kreativ zu sein und Neues zu entwickeln.“
Thimme hofft, so letztlich das Lehrbuchwissen zu verändern: „Bisher wird das Immunsystem sehr allgemein unterteilt in angeborene und erworbene Immunität. Das möchten wir um ein Kapitel zu struktureller Immunität erweitern.“ Und zwar, ergänzt Prinz, „nicht als trockenes Lehrbuch-Wissen, sondern so, dass es Eingang zu den Patient*innen findet, damit wir sagen können: Aufgrund dieses Kapitels gibt es neue Behandlungsmöglichkeiten.“ Gerade wegen des Einflusses auf die Lebensqualität von Patient*innen habe offene Kommunikation zum gesamten Forschungsprozess dabei hohe Priorität, sagt Minguet: „Wir wollen Vertrauen in die Medizin der Zukunft zu schaffen – bei Patient*innen und in der Gesellschaft insgesamt.“
Susana Minguet, Marco Prinz und Robert Thimme stehen gerne für Medienanfragen zur Verfügung.
Gemeinsam sind sie Sprecher*innen der Exzellenzcluster-Initiative INSTRUCT. Weitere Informationen dazu sowie zur Freiburg Exzellenzstrategie insgesamt finden Sie hier:
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