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Gegen den Moorverlust

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Gezüchtete Torfmoose könnten zum Klimaschutz beitragen

Gegen den Moorverlust

Forschung für eine nachhaltige Torfwirtschaft ist wichtig für das Klima: Denn Moore haben über ihre Moose viel mehr CO2 gebunden als alle Wälder zusammen. Foto: Greta Gaudig

Im Labor von Prof. Dr. Ralf Reski wachsen Torfmoose. Diese sollen in Zukunft bei der Anzucht von Setzlingen im Gemüse- und Zierpflanzenbau verwendet werden. Was derzeit im Bioreaktor funktioniert, soll Basis für die Produktion großer Mengen sein, um den herkömmlichen Torf im kommerziellen Anbau zu ersetzen. Damit können Moore, aus denen der Torf bislang stammt, als wichtige CO2-Speicher gerettet werden.

Wer das Klima retten will, sollte auch Moore im Blick haben. „Über ihre Moose haben sie viel mehr CO2 gebunden als alle Wälder zusammen“, sagt Prof. Dr. Ralf Reski von der Abteilung für Pflanzenbiotechnologie der Universität Freiburg. Doch Torfabbau bedroht die Moore weltweit. „Direkt oder indirekt verbrauchen wir alle Torf“, erklärt Privatdozentin Dr. Eva Decker aus Reskis Arbeitsgruppe: „Torf ist momentan unersetzlich für den Gemüseanbau unter Glas.“ Ein wirtschaftlicher Anbau, der Moore schonen würde, ist bisher unmöglich: Es mangelt an Saatgut für Torfmoose, und die Moose wachsen im Freien zu langsam. Beim Forschungsverbund MOOSzucht konnte Reskis Arbeitsgruppe die Saatgutausbeute im Labor nun um das 50- bis 100-Fache steigern. „Das ist die Grundlage für eine nachhaltige Torfwirtschaft“, sagt Doktorandin Melanie Heck. Die Torfmoose aus Reskis Labor versprechen auch mehr Ertrag.

Kultivierung im Bioreaktor

„Wir können Moose“, bringt Reski die Expertise seiner etwa 30-köpfigen Arbeitsgruppe auf den Punkt. Mit ihr hat er das Kleine Blasenmützenmoos Physcomitrella patens im Bioreaktor kultiviert und maßgeblich zur kompletten Sequenzierung des Genoms beigetragen. Das Team hat Moose als Modellorganismen in der Forschung etabliert und neue Signalwege, Regulationsmechanismen und wirtschaftlich interessante Gene entdeckt. Der Pflanzenbiotechnologe ist Mitgründer der Greenovation Biotech GmbH, die im Moosbioreaktor Proteine für Arzneien herstellt: „Eins hat schon erfolgreich die klinische Phase-I-Studie absolviert.“


Sphagnum im Bioreaktor: Ein Freiburger Team erforscht Torfmoose. Foto: Melanie Hec

In dem Projekt MOOSzucht will Reski gemeinsam mit Forschenden vom Institut für Botanik und Landschaftsökologie der Universität Greifswald die Basis für wirtschaftlichen Torfanbau schaffen. Das bedeutet, die Produktivität von Torfmoosen um mindestens 30 Prozent zu erhöhen. Die Kolleginnen und Kollegen haben bei dem Freiburger Biologen angefragt: „Könnt ihr im Bioreaktor auch Sphagnum?“ So lautet der Gattungsname der Torfmoose. „Sie sind wenig erforscht“, sagt Reski. Im Labor führte Sphagnum zuletzt jahrzehntelang ein Schattendasein. Selbst die Zahl der Arten können Fachleute nur grob auf 150 bis 450 schätzen. Doch Reskis Arbeitsgruppe hatte eine Sphagnum-Art schon für das europäische Förderprogramm MossClone im Bioreaktor kultiviert. Diese Moose sollen bald als passive Sensoren die Luftqualität überwachen.

Moore als Klimaschützer

Im Weißtorf, dem Torf-Hauptprodukt, erfüllen Moose andere Zwecke: Weißtorf kann das 20-Fache seines Gewichts an Wasser aufnehmen. Er sondert keine Substanzen ab, sodass sich im Milieu alle möglichen Bedingungen je nach Wunsch einstellen lassen. „Er eignet sich optimal, um allerlei Setzlinge anzuziehen“, erläutert Decker, die Projektleiterin im Labor. Ob privat, gewerblich, herkömmlich oder bio: Setzlinge für Blumen, Gemüse und Salate sprießen meistens in Weißtorf. Allein Deutschland verbraucht davon jährlich drei Millionen Kubikmeter. Um diese Menge mit Wildtorfmoosen zu erzeugen, wäre eine enorm große Anbaufläche notwendig. „Wilde Torfmoose wachsen sehr langsam“, sagt Decker, „gerade einmal einen Zentimeter pro Jahr.“

Der globale Verbrauch an Torf liegt bei jährlich 30 Millionen Kubikmeter, und dieser Torf stammt aus Mooren. Ihnen setzt der Abbau bedenklich zu. „Abgetorfte Moore wachsen nicht mehr nach“, so Decker. Deutschland habe den Abbau zwar weitgehend verboten, „aber zu Torf gibt es keine gleichwertigen Alternativen“. Die Abbauunternehmen weichen daher aus, etwa nach Osteuropa. Moorverlust wiegt klimatisch schwer. „Moose nehmen über ihre Oberfläche Nährstoffe und viele Schadstoffe aus der Umwelt auf“, erklärt die Forscherin. Als Klimaschützer arbeiten Moore rund zwanzigmal so effizient wie Wälder: Letztere bedecken etwa 30 Prozent der globalen Land- und Süßwasserfläche, Moore nur drei Prozent, doch sie binden das Doppelte an CO2. Zudem wachsen Pflanzen wie beispielsweise Sonnentau und einige Orchideen ausschließlich in Moorgebieten.



Unter günstigen Bioreaktorbedingungen vermehren sich manche Arten und ihre Sporen 50- bis 100-mal schneller als im Moor. Fotos: Anja Prager, Greta Gaudig

Die Aufgabe, mehr Sphagnum-Saatgut zu erzeugen, fiel Doktorandin Heck zu. Sie sollte für MOOSzucht 20 Arten erstmals im Bioreaktor kultivieren: „Es war sehr zeitintensiv, axenische Kulturen zu etablieren.“ In diesen Reinkulturen leben nur artreine Moose – keine anderen und auch keine Bakterien, Pilze, Algen oder dergleichen. Heck musste die Pflänzchen aus dem Freiland also zunächst von allen lebenden Lasten befreien. Danach weigerte sich eine Sphagnum-Art, im Reaktor zu gedeihen, eine andere zierte sich über ein Jahr. Anschließend optimierte Heck die Wachstumsbedingungen: „Ich habe je acht Komponenten im Medium auf drei Einstellungen getestet.“ Drei Inhaltsstoffe disqualifizierten sich: Sie hatten keinen Effekt auf das Wachstum. Alle übrigen testete Heck in weiteren Konzentrationen und Kombinationen. Zudem variierte sie Temperatur und Lichtdosis. Am Ende erwiesen sich sechs Arten als prima Saatgutproduzenten: Unter günstigen Bioreaktorbedingungen vermehren sie sich und ihre Sporen 50- bis 100-mal schneller als im Moor.

„Das war ein Designexperiment, kein Herumprobieren“, betont Reski. Die Messergebnisse aus den Versuchsreihen fließen auch in Simulationsmodelle ein. Dadurch sinkt der Aufwand, während die Effizienz steigt. „Bei wirtschaftlich orientierten Projekten wie MOOSzucht müssen wir auch Kosten und Praxistauglichkeit beachten“, sagt Reski. Umso mehr freut es ihn, dass Hecks Labormoose in Paludikulturen wachsen – auf nassen Moorböden im Freiland.

Auswildern ohne Risiken

Ein anderer MOOSzucht-Zweig in Reskis Labor verbessert die Wuchsfreudigkeit der Torfmoose per Smart Sphagnum Breeding. SSB, so die Kurzform, ist quasi Turbozüchtung: Statt dem langwierigen natürlichen Moossex seinen Lauf zu lassen, verschmelzen Forschende Zellen von Sphagnum-Pflanzen mit günstigen Eigenschaften. Ziel ist es, alle Erbanlagen zu verdoppeln, einschließlich der vorteilhaften Gene. „Solche Moose enthalten ausschließlich arteigene Gene. Sie sind nicht gentechnisch verändert“, stellt Projektleiterin Decker klar. Eine Auswilderung birgt deshalb keine Risiken.

MOOSzucht läuft im Mai aus, aber Reski hofft auf eine Verlängerung des Projekts, an dem zwei Gruppen der Uni Greifswald, das Karlsruher Institut für Technologie (KIT), die NIRA GmbH & Co. KG und sein Team beteiligt sind: „Wir möchten gerne über ein Jahr quantitativ ermitteln, wie viel mehr Biomasse unsere Torfmoose in Paludikultur liefern.“ Das brächte Heck ihrem wissenschaftlichen Traum näher: „Ich fände es toll, wenn meine Moose Moore retten und dem Klima helfen könnten.“ Decker und Reski träumen in mehrere Richtungen. „Ich wünsche mir auch, dass eines der menschlichen Proteine, die wir mit Moosen im Bioreaktor herstellen, irgendwann eine Zulassung als Biopharmazeutikum erhält und Menschen hilft“, sagt Reski. Und Decker weiß sogar schon, welches Protein es sein sollte: „Ich hoffe, dass es Faktor H schafft.“ Denn der habe gute Chancen, einmal Patientinnen und Patienten mit seltenen Nierenleiden und solchen mit der verbreiteten Augenerkrankung Altersbedingte Makuladegeneration helfen zu können.

Jürgen Schickinger

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