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Nicht alle Wunden heilen wunschgemäß

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Zellbiologin Anne-Kathrin Classen erforscht Unterschiede von normaler und gestörter Wundheilung

Nicht alle Wunden heilen wunschgemäß

Anne-Kathrin Classen will herausfinden, was hinter normaler und gestörter Heilung und Regeneration von Geweben steckt. Foto: Harald Neumann

Nach Verletzungen startet ein Heilungsprogramm in Epithelzellen. Die sprechen sich zudem ab, damit sie sich nicht zu viel oder zu wenig teilen. Warum das manchmal schief geht, untersucht Dr. Anne-Kathrin Classen vom Exzellenzcluster CIBSS – Centre for Integrative Biological Signalling Studies. Am Modellorganismus der Fruchtfliege Drosophila erkundet die Zellbiologin, welche Signalwege normale und gestörte Wundheilung steuern. Irgendwann könnte dieses Wissen chronische Wunden verhindern.

Manchmal verzetteln sich Zellen trotz scheinbar guter Planung. Bei Gewebeheilungsprogrammen könnte das zu verzögerter Wundheilung und chronischen Wunden führen. Was molekular hinter normaler und gestörter Heilung und Regeneration von Geweben steckt, erforscht Zellbiologin Anne-Kathrin Classen im CIBSS-Exzellenzcluster. Die Forschungsgruppenleiterin am Zentrum für Biosystemanalyse (ZBSA) der Universität Freiburg untersucht, wie sich Epithelzellen nach Gewebeverletzungen verhalten. Wie startet ihr Heilungsprogramm? „Wichtig wäre auch zu wissen, wie die Zellen danach wieder zurück in den Normalzustand finden“, sagt Classen, die mit dem Modellorganismus der Fruchtfliege Drosophila arbeitet. Möglicherweise kann neues Wissen irgendwann chronische Wunden verhindern? Außerdem will Classen herausfinden, wo sich zelluläre Signalwege von Geweberegeneration und Tumorwachstum kreuzen. Denn sie hängen zusammen.

Verletzungen stressen das Gewebe 

Verletzungen bedeuten Stress für das Gewebe. „Die Zellen merken, dass etwas kaputt gegangen ist“, erklärt Classen. Zuerst unterhalten sie sich mit sich selbst, dann mit umliegenden Zellen und zuletzt mit dem Rest des Organismus. „Die Zellen sprechen sich über Signalwege ab, die zu aktivieren sind.“ Läuft alles prima, endet Heilung in gleichmäßigem und gesundem Gewebe. Dazu dürfen sich beteiligte Zellen weder zuviel noch zu wenig teilen. Das klappt nicht immer, so die Zellbiologin: „Es gibt Situationen, in denen das Gewebe nicht die richtige Balance findet.“

Classen, die Zell- und Entwicklungsbiologie in Manchester und Amsterdam studiert hat, erkundet Geweberegeneration am Drosophila-Modell. Mit ihrem zehnköpfigen Team präpariert sie aus den einen Millimeter großen Larven der Fruchtfliege die 0,3 Millimeter kleinen Imaginalscheiben heraus: „Das ist jeweils eine Zellschicht mit bis zu 40.000 Epithelzellen.“ Quasi Haut-Ministücke. Epithelzellen bilden die äußere Grenzschicht mehrzelliger Lebewesen, bei Menschen also etwa die oberste Zelllage von Haut und Schleimhäuten.

      

Biologische Signale und Signalwege

Damit Billionen von Zellen geordnete Gewebe, Organe und gesunde Organismen bilden, erhalten und regenerieren, ist eine sehr genaue Abstimmung nötig. Dazu laufen komplexe Kommunikationsprozesse zwischen und innerhalb von Zellen ab. Defekte in diesen Kommunikationsnetzwerken können Entwicklungsstörungen, Immunschwäche, Krebs und andere Erkrankungen auslösen. Der Cluster CIBSS verfolgt das Ziel, ein umfassendes Verständnis von diesen Kommunikationsprozessen zu gewinnen – von der molekularen Ebene bis hin zur Ebene von Zellen und Organen. Des Weiteren werden CIBSS-Forschungsgruppen untersuchen, wie diese Kommunikationsprozesse mit anderen wichtigen biologischen Prozessen, wie etwa dem Stoffwechsel, in Verbindung stehen. Basierend auf den neuen Erkenntnissen werden die Forschenden Perspektiven entwickeln, um Herausforderungen in der Immuntherapie oder der nachhaltigen Produktion von Nutzpflanzen zu begegnen.
 


Vernetzt, verzweigt, verbunden: Die Forscher untersuchen, wie Billionen von Zellen
miteinander kommunizieren. Quelle: Sascha Stadelbacher

      

 

Um Wundheilung zu untersuchen, verwunden die Forschenden Drosophila-Larven minimal, entweder mechanisch mit kleinen Nadeln – oder genetisch: Sie manipulieren Epithelzellen so, dass diese übermäßig viel des Signalfaktors TNF-α herstellen und sterben. Das führt zu Signalen, die die Wundheilung starten: Zellen fangen an, sich zu vermehren. Aber nicht immer, so wie bei der gestörten Wundheilung. „Dafür dient unser System als Modell“, erklärt Classen. Ihre Arbeitsgruppe hat gezeigt: Bei gestörter Wundheilung funktioniert die Zellvermehrung nicht richtig, weil Epithelzellen unter anhaltendem Stress leiden und Heilungs-Signalwege nicht gut koordiniert sind.

Fußabdrücke auf der DNA 

Wichtige Rollen spielen dabei die Transkriptionsfaktoren AP-1, STAT und YAP. Sie schalten, wie üblich für Transkriptionsfaktoren, ihre Zielgene an oder ab, indem sie an bestimmte, spezifische DNA-Stücke binden. „Wir haben den Verdacht, dass AP-1, STAT und YAP das Wundheilungsprogramm maßgeblich regulieren“, sagt die Zellbiologin. Sie will die Zielgene dieser Transkriptionsfaktoren identifizieren. Sorgen diese Gene im normalen Heilungsprogramm für eine angemessene Zellvermehrung?

Ihre Arbeitsgruppe koppelt Gene für fluoreszierende Proteine an die Bindestellen von STAT, AP-1 und YAP. Schalten die Transkriptionsfaktoren nun eines ihrer Zielgene an, entsteht gleichzeitig auch ein fluoreszent leuchtendes Genprodukt. „So können wir uns die Aktivität von STAT, AP-1 und YAP im Gewebe unter dem Mikroskop anschauen“, erklärt die Forscherin, „Das ist unser visuelles Read-out.“ Alternativ kann sie STAT, AP-1 und YAP selbst so verändern, dass die ihre Bindestellen bei Bindung an die DNA chemisch markieren. Sie hinterlassen einen Fußabdruck: „Den isolieren wir und können durch Sequenzierung alle Bindestellen charakterisieren.“ Mit diesen und anderen Methoden hofft Classen, das Transkriptionsprogramm zu entschlüsseln, das bei Verletzungen anläuft. Wie finden Zellen da hinein? Wie kommen sie bei normaler Wundheilung wieder hinaus und warum bei gestörter nicht? „Wie unterscheiden sich Epithelzellen, die eine normale oder gestörte Wundheilung vollbringen?“, rätselt sie.


Die Forschenden nutzen die Fruchtfliege Drosophila als Modellorganismus –
ihre Gewebeprozesse ähneln denen des Menschen. Foto: Harald Neumann

Neugier führt auf überraschende Wege 

„Mit meiner Grundlagenforschung verfolge ich auch das große Ziel, etwas für Menschen zu verbessern“, sagt Classen. Sie betont die Aussagekraft des Drosophila-Modells: „Fruchtfliegen sehen zwar nicht aus wie Menschen, aber ihre Gewebeprozesse ähneln sich stark.“ Die Evolution hat sie konserviert. Beispielsweise Transkriptionsfaktoren, die STAT, AP-1 und YAP aus Drosophila entsprechen, gibt es bei Menschen ebenfalls.

Bis Erkenntnisse aus ihrer Forschung bei Patientinnen und Patienten ankommen, werden allerdings noch Jahre vergehen, glaubt Classen. Konkrete Therapien zu entwickeln wird die Forscherin ohnehin medizinischen Expertinnen und Experten überlassen – ob bei Wunden oder Krebs. „Viele Signalwege sind in beiden Fällen aktiv“, sagt sie: „Wenn wir etwa bestimmte Wundheilungsprogramme ausschalten, verändert sich das Wachstum von Tumoren.“ Der Frage, wie stark Geweberegeneration und Tumorwachstum verzahnt sind, will Classen in der Zukunft weiter auf den Grund gehen.

Vorherzusagen, woran sie in zehn Jahren forschen wird, fällt Anne-Kathrin Classen schwer. „Die Wissenschaft hat mich immer auf wirklich überraschende Wege geführt“, sagt Anne-Kathrin Classen: „Mich treibt die große Neugier, Neuem und Unbekanntem auf den Grund zu gehen, damit wir Krankheiten in Zukunft besser verstehen und behandeln können.“

Jürgen Schickinger

CIBSS – Centre for Integrative Biological Signalling Studies

CIBSS ist einer der beiden neuen Exzellenzcluster der Universität Freiburg. Darin werden mehr als 60 Arbeitsgruppen biologische Signalprozesse von Immunzellen, rund um Mitochondrien, in der Organentwicklung und in Wurzeln von Pflanzen erforschen. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler kommen aus sechs Fakultäten – der Fakultät für Biologie, Mathematik und Physik, Medizin, Chemie und Pharmazie, Technik sowie der Fakultät für Rechtswissenschaften. Auch das Universitätsklinikum sowie das Max-Planck-Institut für Immunbiologie und Epigenetik sind beteiligt. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft fördert den Cluster von Anfang 2019 bis Ende 2025.

CIBSS – Centre for Integrative Biological Signalling Studies

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