Hochaufgelöster Flügelschlag
Eine neue Videotechnik macht die Körperbewegungen von Insekten sichtbar
So genannte Retroreflektoren, angebracht auf dem Rücken eines Käfers oder eines Grashüpfers, stellen sicher, dass sich eine Kamera immer blitzschnell auf das Tier fokussieren kann. Fotos: Tat Thang Vo-Doan
Der Finger streicht vorsichtig über den Rücken des Insekts – ein kurzes Zucken, plötzlich macht es einen hohen Satz. „Grashüpfer legen bei einem Sprung schnell eine große Distanz zurück“, erklärt der Biologe Prof. Dr. Andrew Straw von der Abteilung für Neuro- und Verhaltensbiologie an der Universität Freiburg. Die Kamera verfolgt das Tier in Nahaufnahme – gestochen scharf. „Mit unserem System können wir Videos erzeugen, auf denen wir genau erkennen, in welche Richtung die Insekten blicken und wie sich ihre Antennen und Beine bewegen, selbst wenn sie mehrere Meter zurücklegen“, berichtet Straw.
Große Distanzen in kurzer Zeit
Insekten wissen genau, wo bestimmte Blumen sind und wo sich ihr Nest befindet. Ihre Erinnerung an Orte funktioniert über ihren Seh- oder ihren Geruchsinn. Um ihr Navigationsverhalten untersuchen zu können, benötigt der Freiburger Biologe daher nicht nur ihre Position: Er muss auch ihre genauen Körperbewegungen und Details wie die Blickrichtung der Tiere einbeziehen. Dafür sind hochaufgelöste Aufnahmen von ihnen nötig, während sie sich in ihrer natürlichen Welt fortbewegen. „Bisher gab es keine Technologie, um solche Bilder in einer größeren Umgebung zu machen“, sagt Straw.
Wenn sich Insekten bewegen, überwinden sie in kurzer Zeit große Distanzen. Gleichzeitig bewegen sie ihre kleinen Körper blitzschnell. Selbst hochauflösende Kameras stoßen dann auf das Problem der Bewegungsunschärfe: „Richten wir sie auf einen großen Bereich und eine kleine Biene fliegt vorbei, ist diese nur ein unscharfer Fleck auf der Aufnahme. Das liegt daran, dass die Kamera ruhig ist und sich das Tier bewegt“, so Straw. Die Navigation von Bienen erforschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bisher mit Radar-Systemen. „Damit können wir ihre Position verfolgen – erfahren jedoch nichts über ihren Körper“, fasst Straw zusammen. Andere Forschende filmen einzelne Blumen hochaufgelöst und warten, bis eine Biene genau dorthin kommt – dann fehlen aber Daten zu ihrer Fortbewegung. Um das Navigationsverhalten eines Insekts zu verstehen, braucht man gleichzeitig ihre Bewegungsdaten und hochaufgelöste Bilder.
Käfer im Flug, Grashüpfer beim Sprung: Das neue System liefert hochaufgelöste Bilder, die detailliert zeigen, wie sich Insekten bewegen. Fotos: Tat Thang Vo-Doan
Immer auf das Insekt ausrichten
Hier setzt das neue System an, das Straw gemeinsam mit dem Ingenieur Dr. Tat Thang Vo-Doan aus seiner Arbeitsgruppe entwickelt hat. Es beruht auf der Idee, nicht einen bestimmten Ort, sondern direkt das Tier zu filmen: „Wenn wir die Kamera immer auf das Insekt ausrichten, fokussiert sie darauf – und nur der Hintergrund verschwimmt“, erklärt Straw. Um die Position des Insekts ständig nachzuverfolgen, befestigen Vo-Doan und Straw einen reflektierenden Ball auf seinem Rücken und richten einen Laser darauf. „Dieser Retroreflektor ist aus dem gleichen Material wie ein Straßenschild“, erläutert Straw: „Scheint Licht darauf, leuchtet es hell auf, da das Licht direkt zurückkommt.“ Das zurückgeworfene Licht fällt auf vier Photodioden und zwei dadurch bewegbare Spiegel. Trifft es nicht direkt das Zentrum, hat sich das Tier folglich bewegt – dann ändert sich automatisch der Winkel der Spiegel und korrigiert den Lichtstrahl. „Photodioden sind extrem schnell – die Spiegel sind dadurch immer exakt auf das Insekt ausgerichtet“, fasst Straw zusammen. Gleichzeitig richten die Wissenschaftler eine hochauflösende Kamera auf die Spiegel. So können sie das Tier über eine große Distanz verfolgen und dabei seine Körperteile auf Video aufnehmen.
Auch für andere Bereiche interessant
Bisher funktioniert das System am besten bei nachtaktiven Tieren oder unter kontrollierten Lichtbedingungen im Labor. „Wir entwickeln es weiter, um es auch draußen bei Tageslicht einsetzen zu können“, plant Straw und erwägt auch den Einsatz bei anderen Tierarten: „Fledermäuse können einen größeren Retroreflektor tragen – mit ihnen wären Beobachtungen über größere Distanzen möglich.“ Das System von Vo-Doan und Straw ist nicht nur für Biologinnen und Biologen interessant, sondern könnte auch für Ingenieurinnen und Ingenieure nützlich sein, die optoelektronische Systeme entwickeln. „Bei kleinen fliegenden Mikro-Robotern zum Beispiel: Wir können ihre Position nachverfolgen und sie filmen, um genau zu erfahren, was gerade mit ihnen passiert“, plant Straw. „Über einen Laser könnte unser System ihnen außerdem Energie zuführen – das ist bisher nämlich eines der Hauptprobleme bei der Entwicklung solcher Roboter.“
Sarah Schwarzkopf