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Die Abwehrbremse lösen

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Marco Trujillo erforscht, wie Agrarpflanzen robuster gegen Erreger und Dürre werden könnten

Die Abwehrbremse lösen

Landwirtschaftliche Nutzpflanzen sollen künftig widerstandsfähiger werden – die Fähigkeit dazu tragen sie bereits in sich. Foto: Max Orlich

Pflanzen in freier Wildbahn könnten Infektionen und Trockenheit viel stärker bekämpfen, als sie es tatsächlich tun. Diese „Abwehrbremse“ versucht Dr. Marco Trujillo vom Institut für Biologie II der Universität Freiburg zu lösen. Nutzpflanzen, die sich mit voller Kraft wehren, bräuchten weniger Pestizide und würden häufigere Trockenzeiten, die der Klimawandel mitbringt, besser wegstecken.


Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt. Doch Wehren – auch gegen Stress und Infektionen – kostet immer Kraft, also Ressourcen. In der Wildnis konkurrieren Pflanzen aber um Licht und um das gleiche, begrenzte Nährstoffangebot. Um dafür mehr Energie zu haben, bremsen einige Pflanzen ihre Abwehrkräfte. „Doch in der Landwirtschaft ist das nicht so kritisch wie in freier Natur“, sagt Interimsprofessor Dr. Marco Trujillo vom Institut für Biologie II der Universität Freiburg: Auf dem Acker versorgen Landwirtinnen und Landwirte ihre Gewächse eher großzügig, und diese müssen nicht mit anderen Arten konkurrieren. Hier ist die „Abwehrbremse“ hinderlich. Trujillo erforscht deshalb, wie sie sich lösen lässt.

Konkurrenz macht anfälliger

„Ziel ist es, unsere Ergebnisse auf Nutzpflanzen zu übertragen“, sagt der Biologe. Im Moment beschränkt er sich noch auf den Modellorganismus Arabidopsis, die Acker-Schmalwand. An ihr zeigte er mit seiner fünfköpfigen Arbeitsgruppe: Ist ein bestimmtes Protein ausgeschaltet, wehrt Arabidopsis Krankheitserreger viel beherzter ab. Mit gelöster „Abwehrbremse“ halten die Pflanzen außerdem Trockenstress besser aus. „Das ist wichtig im Hinblick auf den Klimawandel, der Landwirte zunehmend mit extremen Ereignissen konfrontieren wird“, so Trujillo. Ohne „Abwehrbremse“ wären Feldpflanzen robuster gegen Wetterkapriolen, und sie bräuchten weniger Pestizide.

Trujillos Spezialgebiet ist die Proteostaseforschung. „Stellen Sie sich Zellen als Räume vor, die voll sind mit vielen verschiedenen Proteinen“, setzt er an. Jedes davon muss in einer bestimmten Konzentration vorliegen, die sich für verschiedene Proteine unterscheidet. Diese sollten außerdem funktionieren, und zwar am richtigen Ort. Proteine müssen also korrekte Raumfaltungen einnehmen und an ihren Arbeitsplatz gelangen. Wenn alle drei Punkte erfüllt sind, herrscht ein Gleichgewichtszustand – eine Protein-Homöostase oder Proteostase. Die ist kein Selbstläufer: Zellen steuern Herstellung, Faltung, Transport und Beseitigung von Proteinen auf vielen Ebenen. „Unterm Strich“, fasst Trujillo zusammen, „ist es ein Tauziehen zwischen Produktion und Abbau.“

Schalter für todgeweihte Proteine

Ihn interessiert der Abbau. „Damit entsorgen Zellen nicht nur Abfall“, betont Trujillo. Zwar besitzt jedes Protein eine eingebaute Lebensdauer. Bis die abgelaufen ist, warten Zellen aber selten. Sie starten oder beenden Vorgänge eher, indem sie Proteine zum richtigen Zeitpunkt abbauen. Ein wichtiger Schalter dabei heißt Ubiquitin. „Es ist das zentrale Signal dafür, wann ein Protein abgebaut wird.“ Die Signalkaskade beginnt oft auf der Zelloberfläche an Rezeptoren. Sie geben auf äußere Reize hin Signale nach innen ab. Daraufhin lagern sich Ubiquitin, Konjugasen, Ligasen und die Zielproteine zu Komplexen zusammen. An denen läuft die Ubiqitinierung: Ligasen und Konjugasen hängen Ubiquitin an todgeweihte Proteine.


Die Acker-Schmalwand dient Marco Trujillo als Modellorganismus. Foto: Thomas Kunz

Viele, aber nicht alle ubiquitinierten Proteine sind zum Abbau verdammt. Manchmal ändert sich nur ihre Aktivität oder die Proteine werden an neue Orte in der Zelle transportiert. „Ubiquitin kann verschiedene Arten von Ketten bilden“, erklärt Trujillo, der ursprünglich Mikrobiologie in Bogotá/Kolumbien und der Universität Gießen studiert hat. Als Postdoc untersuchte er am Sainsbury Laboratory im Vereinigten Königreich und am RIKEN Institut in Japan das Immunsystem von Pflanzen. Bei der Entstehung der unterschiedlichen Ubiquitin-Ketten sind die Konjugasen beteiligt. Arabidopsis besitzt 37 davon. „Wir wissen nicht bei jeder, für welche Art von Ubiquitin-Kette sie zuständig ist“, sagt Trujillo. Anschließend, fährt er fort, erkennt irgendetwas die verschiedenen Ketten und führt ubiquitinierte Proteine ihrer neuen Bestimmung zu: „Diese Faktoren sind weitgehend unbekannt.“

Pflanzen mit erhöhter Kampfkraft

Sicher ist jedoch, dass Konjugasen bei Pflanzen die Intensität der Immun- und Stressantwort regulieren: Das bereits erwähnte Protein, das Trujillo in Arabidopsis abgeschaltet und so ihre „Abwehrbremse“ gelöst hat, war eine Konjugase. Die Kampfkraft, mit der das befreite Pflänzchen Trockenheit und Infektionen standhält, könnte es sich in freier Wildbahn nicht leisten, sagt Trujillo: „Es würde zu wenig wachsen.“ Zu viel Power flösse in seine Immun- und Stressabwehr. Eine solche Acker-Schmalwand würde von Konkurrenten abgehängt und wohl verkümmern. Daher bauen die Zellen der Pflanze normalerweise – mithilfe der Konjugase, die Trujillo abgeschaltet hat – schnell jene Rezeptoren ab, die bei Erregerbefall oder Dürre Stresssignale ins Zellinnere senden. Die „Abwehrbremse“ ist eine Stressbremse.

Ubiquitinierung und ähnliche Signalkaskaden waren auch Themen auf der internationalen Konferenz über Proteostase in Pflanzen, die im September 2019 in Freiburg stattfand. „Sie war ein Riesenerfolg“, freut sich Trujillo, der Mitglied im Organisationsteam war. „Wir sind eine schnell wachsende Gemeinschaft und haben uns vorher noch nie auf so hohem Niveau ausgetauscht.“ Die Veranstaltung habe dem gesamten Forschungsgebiet den ersten großen Schub gebracht, findet er. Darum soll sich der Kongress fortan jährlich wiederholen, zunächst in Madrid/Spanien, dann an wechselnden Orten.

Wie aber empfangen Ubiquitinierungs-Komplexe die Stresssignale? Welche Konjugasen veranlassen welche Ubiquitin-Ketten? Solche Fragen will Trujillo schnell beantworten und versuchen, in Arabidopsis die biochemischen Prozesse der Ubiquitinierung aufzuklären. Parallel baut er einen systembiologischen Ansatz auf: „Wir übertragen die Ubiquitin-Kaskade von Arabidopsis in Bakterien, sodass sie ubiquitinieren können.“ Mit dem System kann er einfacher in die Kaskade eingreifen, Inhibitoren und Stimulatoren schneller testen – auch hinsichtlich einer späteren Anwendung.

Jürgen Schickinger

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