Virtuell erbeutet
Forschungsteam zeigt mit biomechanischen Analysen und Computersimulationen, wie die Venusfliegenfalle zuschnappt
Die Venusfliegenfalle (Dionaea muscipula) braucht nur 100 Millisekunden, um ihre Beute zu fangen. Haben sich ihre zu Schnappfallen umgewandelten Blätter geschlossen, können Insekten nicht mehr entrinnen. Ein Team des Botanischen Gartens Freiburg und der Universität Stuttgart hat anhand von biomechanischen Experimenten und mit virtuellen Venusfliegenfallen detailliert analysiert, wie die Fallenhälften zuklappen. Die Freiburger Biologinnen und Biologen Dr. Anna Westermeier, Max Mylo, Prof. Dr. Thomas Speck und Dr. Simon Poppinga sowie die Stuttgarter Bauingenieurinnen und -ingenieure Renate Sachse und Prof. Dr. Manfred Bischoff zeigen, dass die Fallen der fleischfressenden Pflanze hierfür unter einer mechanischen Vorspannung stehen. Zudem müssen sich ihre drei Gewebeschichten nach einem speziellen Muster verformen. Seine Ergebnisse hat das Team im Fachjournal Proceedings of the National Academy of Sciences USA veröffentlicht.
Der Speiseplan der Venusfliegenfalle besteht hauptsächlich aus krabbelnden Insekten. Wenn die Tiere die Sinnesborsten im Inneren der Falle zwei Mal innerhalb von etwa 20 Sekunden berühren, schnappt sie zu. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wissen bereits, wie die Falle ihre Beute wahrnimmt und wie sie einen potenziellen Fang beispielsweise von einem einfallenden Regentropfen unterscheidet. Jedoch ist nicht bekannt, wie die genauen Verformungsprozesse der Fallenhälften ablaufen.
Um diese Prozesse besser zu verstehen, haben die Forschenden die Innen- und Außenseite der Falle mithilfe digitaler 3-D-Bildkorrelationsmethoden analysiert. Diese Methoden verwenden Wissenschaftler sonst für die Prüfung technischer Materialien. Mit den Ergebnissen konstruierte das Team in einer Finite-Elemente-Simulation anschließend viele virtuelle Fallen, die sich in ihrem Schichtaufbau sowie im mechanischen Verhalten der Schichten unterschieden.
Das typische Schnappverhalten zeigten nur die digitalen Fallen, die unter einer Vorspannung standen. Das Team bestätigte diese Beobachtung mit Austrocknungstests an realen Pflanzen: Nur gut gewässerte Fallen konnten schnell und korrekt zuschnappen, indem sie diese Vorspannung lösten. Denn durch die Wassergabe änderte sich der Druck in den Zellen der Pflanze und somit das Verhalten des Gewebes. Um sich korrekt zu schließen, mussten die Fallen außerdem aus drei Gewebeschichten bestehen: Einer inneren, die sich zusammenzieht, einer äußeren, die sich dehnt, sowie einer neutralen Mittelschicht.
Speck und Mylo sind Mitglieder des Exzellenzclusters Living, Adaptive and Energy-autonomous Materials Systems (livMatS) der Universität Freiburg. Dort dient die Venusfliegenfalle als Vorbild für einen bionischen, aus künstlichen Materialien bestehenden Demonstrator, den Forschende des Clusters entwickeln. Mit ihm erproben die Wissenschaftler Anwendungsmöglichkeiten von Materialsystemen, die lebensähnliche Eigenschaften aufweisen: Die Systeme passen sich an Veränderungen in der Umwelt an und beziehen aus ihr die dafür benötigte Energie.
Die Studie wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft im Rahmen des Exzellenzclusters livMatS, vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg im Rahmen des Projekts „BioElast“ und vom Forschungsnetzwerk „Joint Research Network on Advanced Materials and Systems“ gefördert, dass die BASF SE und die Universität Freiburg gegründet haben.
Originalpublikation:
Sachse R., Westermeier A., Mylo M., Nadashi J., Bischoff M., Speck T., Poppinga S. (2020) Snapping mechanics of the Venus flytrap (Dionaea muscipula). In: Proceedings of the National Academy of Sciences USA, doi: 10.1073/pnas.2002707117
Kontakt:
Dr. Simon Poppinga
Institut für Biologie II
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Tel.: 0761/203-2999
simon.poppinga@biologie.uni-freiburg.de