Thermische Bewegungen und Schwingungsmoden bestimmen Aufnahme von Bakterien in Zellen
Team an der Universität Freiburg analysiert, wie Modellbakterien an Membranblasen andocken und in diese eindringen.
Wie und mit welchen Aufwand gelangt ein Bakterium — oder ein Virus — in eine Zelle und verursacht eine Infektion? Zur Beantwortung dieser Frage haben Freiburger Forschende nun einen wichtigen Beitrag geleistet: Ein Team um den Physiker Prof. Dr. Alexander Rohrbach und seine Mitarbeiterin Dr. Yareni Ayala konnte zeigen, wie thermische Bewegungen eines Modellbakteriums und Membran-Schwingungsmoden einer Modellzelle beeinflussen, mit welcher Energie die Modellbakterien andocken und in die Membran eindringen. Die Ergebnisse sind soeben in der Fachzeitschrift Nature Communications erschienen.
Wie ein klebriges Bonbon auf einem wabbeligen Luftballon
„Um zu verstehen, wie ein Bakterium oder Virus in eine Zelle eindringt, kann man sich ein klebriges Bonbon auf einem schlaffen, wabbeligen Luftballon vorstellen. Wenn ein Kind den Gummi-Luftballon herum schüttelt, verklebt sich das Bonbon noch mehr in seiner Oberfläche“, sagt Rohrbach, Professor für Bio- und Nano-Photonik am Institut für Mikrosystemtechnik der Universität Freiburg. In seinem Labor bauten die Laser- und Bio-Physiker*innen ein vergleichbares Experiment auf, um die Physik von Infektionsvorgängen zu studieren. Der wabbelige Luftballon entspricht hierbei einem Riesen-Membranvesikel (Giant uni-lamellar vesicle/GUV), das als eine biologische Modellzelle dient. Die Membranblase hat die Größe eines winzigen Sandkorns von circa 20 Mikrometer Durchmesser.
Das klebrige Bonbon entspricht hier einem ein Mikrometer kleinen, runden Partikel, das als Modell-Bakterium dient und in Kontakt mit der Membran gebracht wird. Dabei hilft den Forschenden eine Laser-Pinzette, mit der man das Partikel über Lichtkräfte nicht nur einfängt und festhält, sondern kontrolliert in kleinen Schritten der Membran nähert, diese kontaktiert und sogar deformiert, bis das Partikel in die Membranblase hineinschlüpft.
Thermische Bewegungen kodieren die relevante Information
Per optischer Pinzette und Laserlichtstreuung lassen sich nicht nur die notwendigen Kräfte und Energien messen, sondern auch die thermischen Bewegungen des Partikels, die für seine Aufnahme notwendig sind Diese wiederum entsprechen im obigen Beispiel dem Schütteln des Luftballons. Die Membranblase und das Partikel befinden sich während des Experiments in wässriger Lösung bei Raumtemperatur. Die Wassermoleküle schießen in der Flüssigkeit in alle Richtungen, stoßen an das Partikel und lassen es eine charakteristische Zitterbewegung durchführen, die man Brownsche Molekularbewegung oder auch thermische Fluktuationen nennt.
Zur gleichen Zeit regen die hochdynamischen Wassermoleküle die Membranblase zu Schwingungen (sogenannte Membranmoden) mit verschiedenen Amplituden und Wellenlängen an, welche völlig unabhängig voneinander entstehen und wieder gedämpft werden. „Wir gehen davon aus“, so Alexander Rohrbach, „dass auch Plasmamembranen von lebenden Zellen in unserem Körper ähnliche überdämpfte Schwingungen durchführen und mit den sich thermisch bewegenden Bakterien wechselwirken, was unter Umständen dann zu einer Partikelaufnahme und Infektion der Zelle führt“.
Fluktuationsdaten aus der Laserfalle
Wie stark sich ein Bonbon in einen wabbligen Luftballon einwickelt, hängt von der Klebrigkeit des Bonbons ab und vom Zustand des Ballongummis. Vergleichbar hat eine Zellmembran zahlreiche Rezeptoren, die spezifisch an Liganden beispielsweise von herannahenden Bakterien binden. Hier konnten die Freiburger Physiker*innen in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgruppe von Professor Dr. Winfried Römer sowohl die Membranen der Modellzelle verändern, als auch die Beschichtung der Modellbakterien variieren, um den Einfluss der thermischen Fluktuationen bei verschiedenen Adhäsionskräften („Klebrigkeiten“) zu studieren. Römer ist Professor für Synthetische Biologie von Signalprozessen an der Universität Freiburg.
„Am Anfang waren wir etwas enttäuscht“, gibt Rohrbach zu, „da die Fluktuationsdaten des Partikels in der Laserfalle sich für verschiedene Abstände zur Membran oder bei verschiedenen Membranen kaum sichtbar unterschieden haben.“ Und das, obwohl die Forschenden Signale in Mikrosekundentakt aufgenommen haben und damit kleinste Bewegungsänderungen des Partikels aufzeichnen konnten. Erst als sie die Daten anders analysierten, stellten sich plötzlich signifikante Unterschiede in den Bewegungsmustern heraus, die es nun zu verstehen galt – mithilfe von mathematischen Methoden und Computersimulationen, mit denen Physiker*innen ihre Vorstellung von komplexen Phänomenen und daraus folgenden Interpretationen überprüfen.
Physik der Saiteninstrumente als Vergleich
In den mathematischen Modellen spielt die Überlagerung von vielen Schwingungsmoden eine entscheidende Rolle. Hier hilft die Physik einer Gitarre bei der Frage, welche Schwingungsmoden unterdrückt und welche verstärkt werden: Erhöht man die Spannung eine Gitarrensaite, so werden die Frequenzen der Schwingungsmoden im Mittel höher. Erhöht man die Spannung der Membranblase durch mehr Innendruck oder eine andere chemische Komposition der Membranmoleküle, so schwingt die Blase im Mittel in höheren Moden. Verkürzt man auf der Gitarre oder Geige mit dem Finger die Schwingungslänge der Seite, fallen gewisse Grundmoden heraus oder werden unterdrückt, der Ton wird erneut höher.
Kommt nun das Bakterium in Kontakt mit der Membranblase, so werden zunehmend Grundschwingungen unterdrückt und nur Moden mit höherer Frequenz, also kürzeren Schwingungslängen, überleben. Da nun jeder Schwingungsmode der Membranblase eine eigene Dämpfung oder Reibung hat, lässt sich hieraus über Computersimulationen die summierte Dämpfung und Amplitude aller überlebenden Moden abschätzen. Sowohl die Messungen als auch die Computersimulationen zeigten, dass die notwendige Energie zur Membranverformung durch das Partikel bis zu seiner kompletten Aufnahme ins Innere der Membranblase stark mit der Steifigkeit und vor allem der Dämpfung der Membranbewegungen skaliert.
Bakterium dringt leichter in Membran ein
Durch diese mathematischen Modelle und die Bewegungsmessungen mit einer Million Partikelpositionen pro Sekunde lässt sich beispielsweise bestätigen, warum Bakterien mit bestimmten Proteinen (Liganden) auf ihrer Oberfläche leichter an Zellen mit bestimmten Membranrezeptoren binden. Vor allem kann man damit aber erklären, inwiefern durch eine stärker fluktuierende und weniger gedämpfte Membran die Energiekosten sinken und damit die Wahrscheinlichkeit steigt, dass das Bakterium aufgenommen wird, was einem erhöhten Infektionsrisiko der Zelle entspricht.
Faktenübersicht:
Abbildung:
Foto einer Membranblase mit verschiedenen Schwingungsmoden im Hintergrund und experimenteller Schemazeichnung im Vordergrund. Eine optische Pinzette (Laserfokus in rot) bringt ein thermisch fluktuierendes Partikel mit einer Membranblase (grün) in Kontakt, bis das Partikel sich in die Membran einstülpt und aufgenommen wird. Grafik: AG Rohrbach
Kontakt:
Annette Kollefrath-Persch
Hochschul- und Wissenschaftskommunikation
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Tel.: 0761/203-8909
E-Mail: annette.persch@pr.uni-freiburg.de