Globale Biodiversität in der Krise - Was können Deutschland und die EU dagegen tun?
Eine Forschergruppe aus verschiedenen Disziplinen der Biodiversität, Ökologie, Ökonomie, Anthropologie und integrierten Landsystem-Forschung hat sich im Rahmen des Diskussionsforums der Nationalen Akademie der Wissenschaften, Leopoldina, der ältesten Wissenschaftsakademie der Welt, mit Fragen der Globalen Krise der Biologischen Vielfalt – Biodiversitätskrise - befasst. Die Zielsetzung der Studie bestand darin, Handlungsoptionen zur Eindämmung und Überwindung dieser für die Menschheit bedrohlichen Entwicklung vorzuschlagen. Mitgewirkt an der Studie hat auch Prof. Dr. Michael Scherer-Lorenzen von der Universität Freiburg.
Der Erhöhung der Ökosystemvielfalt und Habitatheterogenität auf lokaler Ebene, insbesondere in Agrarlandschaften, kommt beim Schutz der Biodiversität eine zentrale Rolle zu.
Die aktuelle Aussterberate von Tier- und Pflanzenarten sind die höchsten der vergangenen 10 Millionen Jahre, und nehmen allmählich Züge der fünf erdgeschichtlichen Massenaussterben an. Derzeit gelten rund 1 Million Tier- und Pflanzenarten als vom Aussterben bedroht, viele davon innerhalb von Jahrzehnten. Nur noch ein Drittel aller Fischpopulationen der Weltmeere hat einen zufriedenstellenden Zustand. In weiten Bereichen sind die Ozeane fast leer gefischt und leiden unter Übersäuerung, Überwärmung und Korallensterben. In den letzten 30 Jahren sind weltweit rund 30% und in weiten Teilen Europas 30-80 Prozent der Insekten zurückgegangen. Insekten sind mit 70 bis 80 Prozent die artenreichste aller Tiergruppen, die an Bodenbildung, Bodenfruchtbarkeit, Bestäubung, oder als Grundlage der Nahrungsketten vieler höherer Tierarten Schlüsselfunktionen einnehmen. Das Insektensterben kann daher als Abbild eines bedenklichen Niedergangs der gesamten Biodiversität gewertet werden. Die globale Waldfläche wurde durch Abholzung um 40 Prozent reduziert. Der jährliche Bruttoverlust an Feuchttropenwald-Fläche betrug allein in den Jahren 2000 bis 2012 49.000 Quadratkilometer jährlich – mehr als die Fläche Niedersachsens – und die Waldverluste beschleunigen sich weiter und tragen dadurch erheblich zum Klimawandel bei. Der Beitrag der Landwirtschaft zum Verlust der globalen Biodiversität wird auf 80% geschätzt.
Wichtige Ursachen sind: 1. Rund 80 % der weltweiten Entwaldung beruht auf der Umwandlung von Wald in Landwirtschaftsflächen, 2. 70 % des globalen Süßwasserverbrauchs entfällt auf die Landwirtschaft, 3. 85 % des globalen Stickstoff- und Phosphatverbrauchs mit seinen schädlichen Auswirkungen auf die Eutrophierung von Landökosystemen, Gewässern und Meeren beruht auf dem Düngemitteleinsatz in der Landwirtschaft, 4. etwa 300 bis 400 Millionen Tonnen an Pestiziden, weiteren Agrarchemikalien und sonstigen bioaktiven Chemikalien werden hautsächlich durch die Landwirtschaft in die Umwelt eingebracht und 5. mindestens 23 % der globalen Emissionen von klimaschädlichen Treibhausgasen (THG) geht zu Lasten der Landwirtschaft.
Allein Deutschland ist durch die Importe von Soja für die Rodung von etwa 1 Millionen ha Tropenwald indirekt verantwortlich und trägt durch die Einfuhr von Palmöl-Biodiesel aus Indonesien Mitverantwortung für den Verlust der dortigen Regenwälder und deren Orang-Utan-Populationen. In Deutschland/Europa dienen rund 50% der Ackerflächen dem Anbau von Futtermitteln für die Fleischproduktion und weitere 20% der Herstellung von Biotreibstoffen und Biogas. Nur noch etwa 30% der Flächen werden für die Versorgung der Menschen mit pflanzlichen Grundnahrungsmitteln bestellt. Diese Praxis der Landnutzung wird jährlich in Deutschland mit 5-6 Milliarden Euro gefördert. 2018 wurde weltweit 36% der Getreideernte an Tiere verfüttert.
Die Tierfleisch- und Milcherzeugung verbraucht über 70% der globalen Landwirtschaftsflächen, liefert aber nur 18% der globalen Lebensmittelkalorien und ist zugleich auch ein bedeutender Klimatreiber: Rund 14,5% (7,1 Gigatonnen) der klimaschädlichen globalen THG-Emissionen stammen aus der Erzeugung von Tierprodukten. In Deutschland erzeugt die Tier- und Milchproduktion rund 70% der THG aus der Landwirtschaft, das sind knapp 10% der gesamten THG-Emissionen Deutschlands, annähernd so viel wie der private PKW-Sektor ausstößt.
Die Staaten der Europäischen Union tragen aufgrund ihres Anteils von fast 10% der globalen THG-Emissionen und der Inanspruchnahme von über 600.000 km² Landflächen außerhalb Europas für die Einfuhr von Agrar- und Holzprodukten sowie durch ihren Beitrag zur Überfischung, Eutrophierung und Erwärmung der Meere eine große Mitverantwortung an der globalen Biodiversitätskrise.
Deshalb halten es die Autorinnen und Autoren dieses Diskussionspapiers für besonders vordringlich, (a) die finanzielle Unterstützung der EU für die Landwirtschaft und Fischerei nach Gesichtspunkten des Klima- und Biodiversitätsschutzes neu auszurichten, (b) die Umwelt- und Klimakosten von biodiversitäts- und klimaschädigenden Produkten - insbesondere von Fleisch - in einer angemessenen Bepreisung wirksam abzubilden und (c) den Biodiversitätsschutz in der EU- und weltweit durch ein umfassendes Netz von angepassten Schutzgebieten sicher zu stellen und zu fördern, das 30-50% der Land- und 40% der Meeresfläche abdeckt.
Der weltweite ökologische Fußandruck von Deutschland und der EU erfordert die Übernahme einer globalen Mitverantwortung zum Schutz von Biodiversität und Klima, unter anderem durch 1. Gründung einer Naturallianz für Afrika, durch die das 4 Millionen km² umfassende afrikanische Schutzgebietssystem im Rahmen einer integrativen Entwicklungszusammenarbeit mit jährlich 4 Milliarden Euro unterstützt wird; 2. durch Initiierung und Förderung eines Aktionsplans der Weltgemeinschaft, durch den der Schutz von 11,5 Millionen km² der letzten noch unberührten Urwälder der Erde mit rund 3,5 Milliarden Euro jährlich gefördert wird; und 3. durch Übernahme einer wirksamen politischen und finanziellen Verantwortung für die schnelle Umsetzung der Ziele der „Bonn challenge“ zur Aufforstung von weltweit 3,5 Millionen km² Wald bis 2030 als ein wichtiger Beitrag zum Weltklimaschutz und einer nachhaltigen Holznutzung.
Originalpublikation:
Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina (Hrsg.) 2020: Globale Biodiversität in der Krise – Was können Deutschland und die EU dagegen tun? Diskussion Nr. 24, Halle (Saale).
https://www.leopoldina.org/publikationen/detailansicht/publication/globale-biodiversitaet-in-der-krise-was-koennen-deutschland-und-die-eu-dagegen-tun-2020/
Kontakt:
Prof. Dr. Michael Scherer-Lorenzen
Fakultät für Biologie
Institut für Biologie II – Geobotanik
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Tel.: 0761/203-5014
michael.scherer@biologie.uni-freiburg.de