Verbessertes Verständnis von Genregulation in embryonalen Stammzellen
Freiburger Forschende zeigen, dass sich Transkriptionsfaktoren abhängig von der DNA-Sequenz gegenseitig verstärken oder hemmen können
Schon in den ersten Stunden der Entwicklung eines Embryos beginnen spezialisierte Moleküle, sogenannte Pionier-Transkriptionsfaktoren, Abschnitte der DNA zu entwirren und die dort kodierten Gene zu aktivieren. Wann genau welches Gen aktiviert wird, muss einem konkreten Zeitplan folgen, damit Gene, die für spätere Entwicklungsschritte wichtig sind, nicht zu früh aktiviert werden – etwa jene, die die Differenzierung von Zellen in spezialisierte Zelltypen auslösen. Einen bisher unbekannten Regulationsmechanismus, der diese präzise Steuerung von Genen möglich macht, hat ein Forschungsteam um die Entwicklungsbiologin Dr. Daria Onichtchouk und den theoretischen Physiker Prof. Dr. Jens Timmer entdeckt. Beide sind Mitglieder des Exzellenzclusters CIBSS – Centre for Integrative Biological Signalling Studies an der Universität Freiburg, das solche interdisziplinären Projekte gezielt fördert. Die aktuelle Studie unter Leitung der beiden Wissenschaftler*innen beschreibt, dass sich zwei aktivierende Transkriptionsfaktoren gegenseitig hemmen können. Dieselben Faktoren, die die Expression früher Gene auslösen, können so auch die vorzeitige Expression später Gene verhindern. Die Studienergebnisse wurden in Nature Communications veröffentlicht.
Wie das Zusammenspiel von zwei Schlüsseln und einem Schloss
Die Forschenden machten diese Entdeckung an den Zebrafisch-Transkriptionsfaktoren Pou5f3 und Nanog. „Wir wussten, dass diese Transkriptionsfaktoren miteinander interagieren, aber bisher ging man davon aus, dass sie die DNA immer nur zugänglicher und nicht weniger zugänglich machen können“, erklärt Onichtchouk. Die Forscher*innen konnten jetzt zeigen, dass es zwei mögliche Arten des Zusammenspiels gibt: Pou5f3 und Nanog können synergistisch wirken, um ein Gen zu aktivieren, oder antagonistisch, um die Genexpression zu hemmen. „Wie sie interagieren, hängt von der Sequenz der DNA-Region ab, an die sie binden“, erklärt Onichtchouk. „Die neu entdeckte antagonistische Interaktion hemmt die Expression von Hunderten von Genen in frühen Entwicklungsstadien.“
Die Studie der Freiburger Wissenschaftler*innen zeigt, dass Pou5f3 und Nanog synergistisch diejenigen Gene aktivieren, bei denen sie beide als Aktivatoren wirken, aber eine antagonistische regulatorische Wirkung auf die Gene haben, die nur von einem der beiden aktiviert werden können. In ihrer Veröffentlichung vergleichen die Forschenden dieses Zusammenspiel mit zwei Schlüsseln und einem Schloss: Wenn einer der Schlüssel zwar in das Schloss passt, sich darin aber nicht drehen lässt, blockiert er den Zugang für den richtigen Schlüssel. „Wir wissen jetzt viel mehr über die Mechanismen, durch die Transkriptionsfaktoren kontextabhängig funktionieren“, fasst Onichtchouk die Erkenntnisse zusammen. „Das macht unser Bild der Genregulation zwar noch komplexer, bringt uns aber auch einen wichtigen Schritt näher zu einem vollständigen Verständnis.“
Interdisziplinärer Ansatz, allgemeingültige Formeln
Um zu diesem Ergebnis zu kommen, haben die Forschungsgruppen ihre Expertisen in Entwicklungsbiologie, Genetik und mathematischer Modellierung kombiniert. Das Team um Onichtchouk verglich zunächst den Einfluss der Transkriptionsfaktoren auf die Expression von mehreren hundert Genen mit genetischen Assays. Timmers Gruppe modellierte mögliche Regulationsmechanismen auf Basis dieser Daten, ohne zu wissen, welche Faktoren vorher untersucht worden waren. Über die wissenschaftliche Herangehensweise sagt Jacques Hermes, der in der Gruppe von Timmer promoviert und ein Gros der Modellierungen erstellt hat: „Wir haben allgemeingültige Formeln genutzt. Das bedeutet, dass die Formeln für jeden Transkriptionsfaktor die gleiche Struktur haben, während die Werte der Parameter in den Formeln für jede Transkriptionsfaktorkombination und jedes Ziel unterschiedlich sind. Die Schätzung dieser Parameter ist eine zentrale Aufgabe in unserer täglichen Arbeit und wir hatten in diesem Projekt sogar die Möglichkeit, die Ergebnisse unseres Modells anhand unabhängiger experimenteller Daten sofort zu validieren.
Die entsprechenden Moleküle bei Säugetieren, Oct4 und Nanog, sind medizinisch relevant, da sie die Bildung pluripotenter Stammzellen induzieren. Die künstliche Herstellung solcher pluripotenter Stammzellen aus Körperzellen hat ein großes Potenzial für den zukünftigen Einsatz in der regenerativen Medizin und ihre Entdeckung wurde 2012 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet.
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